Der Mord an George Floyd in den USA rief weltweit heftige Reaktionen hervor, ganz besonders in Frankreich, denn die Umstände dieses Verbrechens erinnern an den Fall des jungen Adama Traoré vor vier Jahren. Der schwarze Franzose wurde von Polizisten zu Boden gedrückt bis er erstickte.
So kamen am 02. Juni 2020 trotz des offiziellen Demonstrationsverbotes tausende vor allem junge Französinnen und Franzose, um an der Seite des Comité verité et justice pour Adama, gegründet von der Schwester des Verstorbenen, zu protestieren, das seit 2016 für eine juristische Aufarbeitung des Todes von Adama Traoré kämpft. Eine Art französischer Georges Floyd, weil die Fälle sich erschreckend ähnlich sind. Dabei war die Debatte um Polizeigewalt in Frankreich zuletzt im Zuge der Gelbwestenbewegung in der Öffentlichkeit diskutiert worden, vielleicht auch deshalb stärker als sonst, weil es weiße Demonstrierende waren, denen sie massiv wiederfuhr.
Emmanuel Macron sagte damals, es sei „inakzeptabel, in einem Rechtsstaat von Polizeigewalt zu sprechen“, nach dem Motto: Wenn wir es nicht aussprechen, dann existiert es nicht! Dabei gäbe es über die französische Polizei, über ihre Methoden, über ihre Opfer viel zu sagen. Angefangen bei den Festnahmetechniken, wie dem Blockieren in Bauchlage, bis zu den LBD-Geschossen, durch die Menschen schwerwiegende Verletzungen erleiden.
Laut einer Studie des Forschungsinstitutes Cevipof waren 57 % der französischen Polizisten und Polizistinnen 2017 bereit, für Marine Le Pen zu stimmen und auch wenn die Polizei keine offen rassistischen Befehle erteilt, so lassen sich bei vielen Beamten rassistische Gesinnungen feststellen, die aber häufig folgenlos bleiben. Ein Artikel der Webseite Streetpress machte öffentlich, dass in einer privaten Facebook-Gruppe von Ordnungskräften mit 8000 Followern, Polizistinnen und Gendarmen rassistische und sexistische Fotomontagen, Nachrichten und Kommentare posten. Zielscheibe ist unter anderem Assa Traoré, die Schwester von Adama, als eine wichtige Stimme im Kampf gegen Rassismus oder aber die ehemalige Justizministerin Christiane Taubira. Als Folge der Demonstrationen versprach Innenminister Christophe Castaner, die Festnahme in Bauchlage nicht mehr an Polizeischulen zu lehren und systematisch Polizisten und Polizistinnen zu suspendieren, denen Rassismus unterstellt wird. Fragt sich bloß, wer einen solchen Verdacht untersuchen wird. Nimmt es die Inspection générale de la Police nationale in die Hand, die Polizei der Polizei, wird sie unter den eigenen Mitgliedern ihrer Institution ermitteln müssen, was in den letzten Jahren überwiegend keine Folgen für die Beschuldigten hatte. Das wirft viele Fragen auf in einem Land, in dem Gleichheit und Brüderlichkeit als die vermeintlichen Grundprinzipien der Republik hochgehalten werden.
Hintergrund: Anti-Rassismus-Bewegung in Frankreich
Während der Trentes glorieuses, den „glorreichen dreißig Jahren“ des Wirtschaftsaufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, erfuhr Frankreich eine große Einwanderungswelle aus dem Maghreb und Schwarzafrika. Dabei spielt Polizeigewalt von Anfang an eine Rolle, die als Erbe der brutalen Repressionen im Algerienkrieg nachhallt. Der Soziologe Jérémie Gauthier sagt: „Was wir heute an Abwegen bei der Polizei beobachten resultiert teils noch aus Denkschemata und Methoden, die aus der Kolonialzeit stammen.“
Die Konfliktlage spitze sich auch mit dem Erstarken der rechtsextremen Partei Front National unter Jean-Marie Le Pen in den 80er Jahren zu. Die zunehmende gesellschaftliche Exklusion der Vorstädte, deren Bewohner überproportional aus dem Maghreb stammen oder schwarz sind, sorgte für starke Konflikte. Die Stigmatisierung und Diskriminierung der Bewohner dieser Banlieues wird zum bedeutendsten rassistischen Narrativ. Um für besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, Wohnraum und Bildung zu kämpfen, werden Vereine und Initiativen gegründet, darunter die wohl bekannteste, SOS Racisme. Schnell wird SOS jedoch politisch von Mitterrands Parti Socialiste vereinnahmt und viele Unterstützerinnen und Unterstützer der ersten Stunde wenden sich ab.
Seitdem hat sich die Lage keineswegs gebessert. Noch immer feiert die Le Pen Partei, heute unter dem Namen Rassemblement National, Wahlerfolge. Die Lage in den Vorstädten wird immer dramatischer, auch wegen den Folgen der Corona-Pandemie. Immerhin ist das Thema fester Bestandteil der französischen Kultur geworden, sei es durch Rap oder auf der Leinwand, wie im legendären Film La Haine (1995) oder Les Misérables (2019). Seit 2016 hat die Anti-Rassismus-Bewegung mit Assa Traoré eine neue, starke Figur, die im gesamtgesellschaftlichen Klima des Protestes wieder deutlicher hör- und sichtbar wird.